Kultur

Die Spitze der Wirtschaftskammer trifft austrotürkische Unternehmer

Print Friendly, PDF & Email

WIEN – Ein ungewöhnlicher, in seiner Art bisher einzigartiger Besuch fand am 26. Jänner in den Räumlichkeiten des Yeni Vatan Gazetesi (Neue Heimat Zeitung) statt: Zum ersten Mal kamen gleich zwei prominente Vertreter der Wirtschaftskammer zum gemeinsamen Austausch mit türkischstämmigen Unternehmen, nämlich Christoph Leitl, Bundesobmann des Österreichischen Wirtschaftsbundes und Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, und die Präsidentin der Wiener Wirtschaftskammer Brigitte Jank, die ihrerseits Obfrau des Wiener Wirtschaftsbundes ist. Die beiden prominenten Gäste standen beim Treffen den türkischstämmigen Wirtschaftstreibenden Rede und Antwort. Anlass für die Begegnung waren die bevorstehenden Wirtschaftskammer-Wahlen, die von 27. Februar bis 2. März stattfinden werden, und bei denen der Wirtschaftsbund auch türkischstämmige Wirtschaftstreibende als Wähler gewinnen möchte.

 

Die Zahl türkischstämmiger Wirtschaftstreibende in Wien beläuft sich auf rund 6000. Sein türkisch-deutsches Magazin richtet sich an Unternehmer mit türkischem Migrationshintergrund.

 

„Es gibt österreichweit etwa 25.000 türkischstämmige Unternehmer“, berichtet Birol Kilic, Verleger des Neue Welt Verlags (Herausgeber Yeni Vatan Gazetesi, Einspruch, Südosteuropa Investment) und selbst Platzhirsch in der türkischen Community. „Darunter sind in etwa 5000 bis 6000 KMUs, die beachtliche Umsätze machen und auch viele Österreicher angestellt haben.“ Der Wirtschaftskammer wurde mittlerweile das hohe Potenzial bewusst, das unternehmerisch tätige Migranten für die heimische Wirtschaft bedeuten. Die wachsende Aktivität von Wirtschaftstreibenden mit Migrationshintergrund bedeutet freilich auch einen gesteigerten Bedarf an intensiverer Beratung speziell für diese Klientel. Heute kann bei der Wirtschaftskammer mittlerweile jeder eine Beratung in seiner Muttersprache bekommen.

 

Dass es auch einige sehr erfolgreiche türkischstämmige Unternehmer gibt, zeigte das Treffen am 26. Jänner mit Leitl und Jank. Mit dabei waren neben Kilic auch der Großbauunternehmer Mustafa Atak von Mustibau GesmbH, Mustaf Koc von der X-Mobile GesmbH, der in Österreich Top 3 unter den Fachhändlern ist, Idris Karakas vom Gimex HandelsgesmbH, Mehmet Ildirar von Inova Tools, Bahattin Ceki von CSP, Gökhan Yildirim von der Reviesta Consulting Group Environmental Technologies e.U und Haluk Kocapinar, der mit der Syntez Group im Bereich Wohnungseinrichtungen und Tourismus tätig ist. Sie alle haben sich in Österreich selbständig gemacht und hatten Erfolg. Zweisprachigkeit ist für manche eine spezielle Chance, weil sie hier im Import- und Exportbereich besonders punkten können.

 

Wie beim gemeinsamen Gespräch deutlich wurde, teilen türkischstämmige Unternehmer einige Hauptschwierigkeiten mit anderen Unternehmensgründern. Das betrifft etwa das Thema „unlauterer Wettbewerb“. Jank versprach hier ein entschiedenes Vorgehen, betonte aber: Alle haben die gleichen Probleme. Durch die Schattenwirtschaft entstünden hohe Verluste bei Steuern und im Sozialbereich. Ein großer Erfolg sei jedoch im Baubereich gelungen: Mit dem Finanzministerium konnte vereinbart werden, dass jede Firma angemeldet sein muss; für Gewerbe ohne Sitz gibt es künftig keine Bauberechtigung mehr.

 

„Manchmal arbeiten die Beamten nicht so, wie es sich die Banken wünschen“, räumte Brigitte Jank ein. „Aber seit wir eine Ombudsstelle für Finanzierungsfragen eingerichtet haben, hat sich schon vieles verbessert. Das Service gibt es schon.? Besonders seit der Wirtschaftskrise klagen Unternehmer darüber, dass ihre Kreditansuchen abgelehnt werden. Im November 2008 wurde aus diesem Grund die neue Ombudsstelle geschaffen, um Wirtschaftstreibenden „unbürokratisch und rasch“ zu helfen. Die Ombudsstelle fungiert vor allem als Vermittler zwischen Unternehmen und Banken. Wie sich aber in der Vergangenheit bereits herausgestellt hat, scheitern Kreditvergaben auch öfter an unvollständigen Unterlagen. Mustafa Atak ist mit dem Service des Wirtschaftsbundes im Großen und Ganzen „sehr zufrieden“. Die begleitende Beratung laufe bisher tadellos. „Ich komme mit der Wirtschaftskammer sehr gut zurecht.“ Der einzige Bereich, in dem er sich etwas mehr Engagement wünscht, betrifft Unternehmensgründungen. „Hier bräuchte es mehr Beratung?, so Atak. „Das ist nicht so einfach in Österreich. Man müsste hier den Einsteigern dabei helfen, ein Konzept für fünf Jahre zu entwickeln, um auch als Konkurrent auf dem Markt zu bestehen. Ansonsten gehen einige Unternehmen schon nach drei Monaten ein.“

 

Türken in Österreich sind aus Sicht von Birol Kilic auch eine wichtige Zielgruppe, für die es sich lohnen würde, gute Berater zu holen. „Interkulturelles Marketing richtet sich an Gruppen, die ethnisch andersartig als die Mehrheitsbevölkerung sind?, berichtet Kilic. Diese Zielgruppen zum Beispiel Türken oder Serben ? weisen ein jeweils typisches Konsum- und Rezeptionsverhalten auf und benötigen deshalb eine spezielle, gesonderte Ansprache. Das Konzept funktioniert, weil die Zielgruppen weitgehend homogen sind. Nach und nach haben verschiedenste Unternehmen erkannt, dass es sich auszahlt, diese Zielgruppen über die Werbung gezielt in ihren Muttersprachen anzusprechen.? Wie lohnenswert das Engagement ist, beweisen die Zahlen. ?In Österreich leben rund 250.000 Menschen aus der Türkei, davon sind bereits 120.000 österreichische Staatsbürger, die sich mit dem Staat identifizieren und hier konsumieren?, weiß Birol Kilic. Ihnen stehen pro Haushalt rund 2.000 Euro im Monat zur Verfügung. Der Ethnomarketingexperte rechnet vor: ?Wenn man von 70.000 Haushalten ausgeht, gibt es für die österreichischen Unternehmen pro Jahr rund zwei Milliarden Euro abzuholen.? Die Zielgruppe benötigt zum Beispiel 3,5 Millionen Flaschen Haarshampoo oder auch rund sieben Millionen Flaschen Babynahrung. Wie Kilic erklärt, liegt im Konsumgüterbereich also gewaltiges Potenzial, das dank interkulturellem Marketing gehoben werden könnte. Bislang lassen auf diese Zielgruppe abgestimmte Kampagnen allerdings auf sich warten, „Schließlich haben die Menschen aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien weit mehr Kinder. In einem österreichischen Haushalt leben durchschnittlich 1,8 Menschen, in einem türkischen vier.“

You may also like

More in Kultur