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Eine polnische Oase in der Türkei

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Wer den Istanbuler Stadtteil Beykoz auf der asiatischen Seite des Bosporus verlässt und auf der Straße nach Alemdag nach Kleinasien weiterfährt, stößt noch im Gemeindegebiet Istanbuls auf ein kleines Dorf Polonezköy(Adamdorf-Polendorf). Der türkische Name bedeutet Polendorf, und tatsächlich lebten hier auch zu Beginn des dritten Jahrtausends katholische Polen. Ihre Vorfahren kamen 1842 als Flüchtlinge und Asylsuchende in das Land des Sultans.

 

Von Prof. Dr. Rudolf Grulich – Dokumentation zur Journalistenreise von Kirche in Not, Juni 2005

 

Heute ist es umgekehrt: Seit Jahren kommen Asylsuchende aus der Türkei nach Mitteleuropa, zumeist Kurden aus Südostanatolien. Vor sechzig Jahren war es noch anders: Nach 1933 flohen zahlreiche von den Nationalsozialisten verfolgte Deutsche in die Türkei und erhielten dort bereitwillig Aufnahme. Bereits im Juli 1933 emigrierten die ersten Hochschullehrer aus Deutschland nach Istanbul und Ankara, nach dem „Anschluss“ Österreichs auch aus Wien. Unter ihnen waren bekannte Wissenschaftler: Agrarexperten, Altphilologen, Architekten, Mediziner, Juristen, Musikwissenschaftler. Viele kehrten nach 1945 zurück, wie Ernst Reuter, der spätere regierende Bürgermeister von Berlin. Sein Sohn Edzard Reuter, der langjährige Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, hat seine Kindheit in der Türkei verbracht und berichtet, dass für seinen Vater „der Aufenthalt [dort] eine unglaubliche Phase seines Lebens gewesen ist“.

 

Weniger bekannt ist, dass auch im 19. Jahrhundert das Türkische Reich des Sultans ein Zufluchtsland war. Als vor 150 Jahren im August 1849 die ungarischen Aufständischen ihren Kampf gegen Habsburg verloren geben mussten und kapitulierten, flohen Tausende in die Türkei, darunter auch der Führer des Aufstandes, Lajos Kossuth. Er blieb bis 1851 in Istanbul, ehe er sich in Italien niederließ. Auch der polnische General und internationale Freiheitskämpfer Jozef Bem, der im Herbst 1848 die Verteidigung des aufständischen Wien geleitet hatte und den Kossuth am 1. Dezember 1848 zur Oberkommandierenden der Revolutionsarmee in Siebenbürgen ernannte, floh damals in die Türkei. Vor allem Offiziere traten dort in den türkischen Dienst, so auch Bem, der als Amurat Pascha bis zu seinem frühen Tode Ende 1850 Kommandeur der syrischen Armee in Aleppo war.

 

Bem war als polnischer Flüchtling in der Türkei keine Ausnahme. Auch vielen anderen Polen bot das Türkische Reich Zuflucht, vor allem nach den erfolglosen Aufständen von 1831 und 1863 gegen Russland. Daran erinnerte auch Papst Johannes Paul II. vor 20 Jahren bei seinem Besuch in Istanbul, als er sich am 30. November 1979 mit der dortigen polnischen Gemeinde traf. Er erinnerte seine Landsleute daran, dass es der Sultan war, der die Aufteilung Polens Ende des 18. Jahrhunderts nicht hinnahm, „ein etwas ungewöhnliches Faktum“, wie es der Papst nannte. Der Papst erwähnte auch, dass es bei Empfängen für das Diplomatische Korps bei der Hohen Pforte noch Jahrzehntelang hieß: „Der Botschafter von Lehistan (Polen) ist noch nicht eingetroffen.“ Damit sollte an das Schicksal des aufgeteilten Polens erinnert werden. „Hier haben die polnischen Aufständischen von 1830/31 Zuflucht gefunden,“ betonte der Papst, „ die von den Türken aus den Armeen des Zaren freigekauften Kriegsgefangenen, die polnischen Soldaten der 1856 aufgelösten Zamoyski-Division.“ Johannes Paul II. nannte auch Fürst Adam Jerzy Czartoryski, der 1842 eine polnische Kolonie auf der asiatischen Seite von Konstantinopel gründete, die nach ihm zunächst Adampol benannt wurde und heute offiziell Polonezköy heißt.

 

Das Dorf hat seinen polnischen Charakter bis heute erhalten, denn eine Kirche der Muttergottes von Tschenstochau, in der auch noch heute katholische Gottesdienste gehalten werden, fällt dem Besucher ebenso auf wie Häuser, die auch in den Beskiden oder Galizien stehen könnten und polnische Segenswünsche tragen. Fürst Czartorysky hatte 1842 mit Hilfe der Lazaristen Grund und Boden für die ersten Siedler erworben, die sich bald auch eine kleine Kapelle errichteten, die der hl. Anna geweiht war. „1855 traf unser größter Dichter, Adam Mickiewiecz, in Istanbul ein“, betonte der Papst 1979 vor der polnischen Gemeinde, „um hier den patriotischen Geist unter den Polen zu stärken und eine polnische Legion zu bilden, die nach der Vorstellung der Romantik zur Befreiung der Heimat dienen sollte, die nach dem November-Aufstand noch stärker unterdrückt worden war.“ Als Russland vom Sultan die Auslieferung polnischer Flüchtlinge verlangte, lehnte dies der Sultan mit Berufung auf den Koran und dem Gebot der Gastfreundschaft ab. Adampol hatte polnische Selbstverwaltung und war das einzige Stück eines freien Polen, bis Polen als Staat 1918 wieder erstand. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten manche Bewohner zurück, aber der Ort blieb bestehen, auch wenn er andere Nachbarn bekam, als die griechisch bewohnten Nachbardörfer umgesiedelt und Türken vom Balkan angesiedelt wurden.

 

„Ihr seid Erben jener Polen, die vor mehr als 100 Jahren diese polnische Oase am Bosporus gegründet haben“, sagte der Papst 1979 bei seinem Türkeibesuch zu ihnen. „Als euer Landsmann und zugleich erster Papst polnischer Herkunft begegne ich euch heute mit großer innerer Bewegung.“

 

Man muss sich in dem kleinen Dorf Zeit lassen, um seine 150-jährige Geschichte auszuloten. 1992 erschien in türkischer und englischer Sprache sogar eine kleine Festschrift. Man findet türkische und polnische Gedenktafeln an die großen Besucher. Mickiewicz starb sogar hier. Erst später wurde er in die Gruft der Könige nach Krakau überführt.

 

Franz Liszt besuchte auf einer Konzertreise nach Istanbul ebenso diese polnische Siedlung wie Gustave Flaubert, und natürlich fehlt als Besucher auch nicht der Gründer der modernen Türkei Kemal Atatürk.

 

70 Häuser reihen sich in den drei Straßen des Ortes. Kirche und Friedhof fallen ins Auge. Einige Pensionen, ein Hotel Gülay, das Restaurant Ziya, ein Cafe und ein Teehaus zeigen, dass es auch bescheidenen Tourismus gibt. Den Eingang zur Pension Rizi schmückt ein Holztor mit lebensgroßen Holzfiguren. Die Besitzerin ist Frau Elena Ryzy. An polnischen Familiennamen von Hausbesitzern begegnen uns Dohoda und Wilkoszewski, Biskupski und Gazewicz. Vor Frederik Nowicki war Edward Dohoda Bürgermeister bzw. Muhtar, eine Bezeichnung, die jedem Karl May-Leser bekannt ist.“

 

im Vergleich zu anderen Stadteilen hat dieses Dorf seine alte Struktur weitesgehend beibehalten- die Zeit scheint stehengeblieben zu sein in dieser Oase. Und das in einer Megacity wie Istanbul- das fasziniert mich noch immer deshalb habe ich vor diesen besonderen Ort Istanbuls zu thematisieren. ich will hierbei die überwiegend polnische Bevölkerung interviewen- v.a. interessiert es mich wie diese Diaspora es geschafft hat ihr Gebiet so zu erhalten wie es jetzt ist.

 

die malerische Landschaft und überhaupt diese Ruhe die man an dem Ort inmitten der umgebenen Hektik findet sind die Gründe warum viele Istanbuler das Polendorf aufsuchen. Der Tourismus und seine Auswirkungen und überhaupt das Polendorf im Verhältnis zu der „Mutter“ Istanbul sind alles Gebiete, die ich erforschen möchte.

 

Soweit erstmal, ich hoffe ich kann noch ein paar Leute mitreißen diesen Ort zu erkunden- wie wärs Emine und ljubica? 🙂

 

(übrigens gibt es auf der europäischen seite ein Pendant nämlich das arnavut köyü -Albanerdorf, welches sich zu einer noblen Wohnsiedlung am Bosporus entwickelt hat)

 

https://www.youtube.com/watch?v=ARzXgNqeLtk

 

https://www.youtube.com/watch?v=ZAemEhCq5-U

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