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EU-Türkei-Österreich-Fakten: Zeit für Zurückhaltung und Abrüstung der Wörter

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„Die Causa Türkei ist für SPÖ und ÖVP eine Chance, sich zu profilieren. Das Thema besetzen und dominieren, lautet die Devise für Kern und Kurz. Und zwar bevor es die FPÖ tut.“ schreibt die Süddeutsche Zeitung.“

 

Die Abwärtsspirale der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit dreht sich mit zunehmender Schnelligkeit und sorgt bei den Betroffenen für eine regelrechten Erfolgsrausch! Meine Gedanken sind bei denen, die sich nicht in diesem Rausch befinden!“, schreibt die SPD-Abgeordnete a.D. Lale Akgün. Die TKG hat nachrecherchiert: Die seit 1996 intakte Zollunion der EU (500 Millionen Einwohner) mit der Türkei (80 Millionen) bringt der Europäischen Union mehr Vorteile als der Türkei, sagen die Fakten. Braucht die EU wirtschaftlich die Türkei also nicht eher als die Türkei die EU? Wer sitzt wirklich am längeren Ast?

Die Türkei ist für die EU nicht nur sicherheitsstrategisch und geopolitisch wichtig, sondern auch wegen des nicht ernst genommenen politisierten Islam-Sumpfes. Mit der Türkei sollte man aber hard aber doch im Gespräch bleiben weil der EU Beitrittsprozess der Türkei der beste Hebel die verschiedene unangenehme Prozesse in der Türkei beeinflussen zu können.

Weil das Epizentrum dieses Sumpfes gerade die Türkei, Saudi Arabien, Katar und seine Nachbarn geworden sind. Die EU (und der Balkan) waren bis jetzt das Hinterland dieser Sümpfe, die sich bis in die modernen Städte hinein erstrecken. Man sollte schleunigst diese Sümpfe trockenlegen, statt auf zahnlose wirtschaftliche Druckmittel zu setzen. Die Türkei spielt eine sehr wichtige Rolle für die EU, umgekehrt ist es genauso. Griechisch-Zypern blockiert schon länger weitere Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Ein weiteres Veto aus Österreich durch Außenminister Kurz bzw. Bundeskanzler Kern ist daher unnötig. Ein außenpolitischer Fehler.

These: Die Europäische Union braucht die Türkei mehr als die Türkei die EU. Die Türkei aber braucht Europa als Partner, besonders was die Wertegemeinschaft angeht.

 

Rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien

Bundeskanzler Kern: Die Türkei ist von uns weitgehend abhängig“

Das Statement des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Christian Kern gegenüber der Zeitung „Die Presse“ sollte man genau bezüglich Zollunion EU-Türkei unter die Lupe nehmen: Würde man nun die Tür für die Türken öffnen und ihnen die vier Grundfreiheiten der EU (freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr) einräumen, dann würde das zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen führen, die in Europa nicht mehr vertretbar sind. Die EU sollte vielmehr nach einem neuen machbaren Weg der wirtschaftlichen Heranführung der Türkei suchen. Ökonomisch sitzen wir am längeren Hebel. Die Türkei ist von uns weitgehend abhängig.“

Für die Türkische KULTURgemeinde geht es darum, dass die Türkei so viele EU-Wertestandards wie möglich umsetzt. Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit müssen in vollem Umfang Einzug halten! In der Türkei ist jedem klar, dass es der Europäischen Union gar nicht um einen vollen EU-Beitritt geht. Die EU und insbesondere Deutschland waren nicht ehrlich mit der Türkei, das zeigen die Probleme mit der bereits bestehenden Zollunion ab dem 1.1.1996.

 

Hintergrund

„Unnötiger kann Kerns Demarche tatsächlich nicht sein. Niemand in der EU glaubt, dass der Türkei-Beitritt in absehbarer Zeit erfolgen kann. Die Verhandlungen um eine Mitgliedschaft sind sowieso auf das Minimum zurückgefahren. Ein Plädoyer für einen Abbruch macht keinen Sinn, es befriedigt bloß jene nationale Öffentlichkeit, die seit eh und je die Türken nicht mag.Noch eins: An der Visa-Frage sollte das Flüchtlingsabkommen nicht scheitern. Dass die Visapflicht für die Türkei nicht schon längst abgeschafft ist, so wie für Mazedonien, Montenegro und Serbien – auch nicht gerade Westminster-Demokratien –, wird in Ankara seit Langem als feindseliger Akt der EU gesehen. Zu recht. Zudem würde eine von der EU geforderte Änderung der Definition von Terrorismus im türkischen Antiterrorgesetz – angesichts des ausgerufenen Ausnahmezustands – nichts an der Situation der verfolgten Journalisten oder Oppositionellen ändern. “ schreibt Profil (Georg Hoffmann-Ostenhof )

Laut der Standard vermutet der renommierter Politologe Peter Filzmaier innenpolitische Motive hinter dem außenpolitischen Schauspiel. „Es ist eine strategische Binsenweisheit, dass sich innere Einheit am besten gegen einen – unter Anführungszeichen – Außenfeind schaffen lässt,“ sagt er, „und so viele andere Themen, bei denen sich die Regierung einig ist, gibt es nicht.“ Die Türkei-Debatte sei „aufgelegt wie auf dem Silbertablett“, befindet Filzmaier, zumal sie für die Regierung weitgehend „risikolos“ sei. Schließt sich die EU, wo letztlich die relevanten Entscheidungen fallen, mehrheitlich der Haltung Österreichs an, könnten sich Kern und Kurz eines Erfolges rühmen. Wenn nicht, so Filzmaier, lasse sich immer noch mit EU-Bashing Kapital schlagen. „Wenn Verhandlungen auf Eis liegen, muss man nicht auch noch die Kühlschranktür zuschlagen“, sagt Peter Filzmaier  der Kerns und Kurz‘ Vorstöße für umso bemerkenswerter hält, als sich Österreich immer noch neutral nennt: „Von jeder diplomatischen Akademie fliegt man für so etwas im ersten Semester raus.“

Filzmaier vermutet innenpolitische Motive hinter dem außenpolitischen Schauspiel. „Es ist eine strategische Binsenweisheit, dass sich innere Einheit am besten gegen einen – unter Anführungszeichen – Außenfeind schaffen lässt,“ sagt er, „und so viele andere Themen, bei denen sich die Regierung einig ist, gibt es nicht.“ Die Türkei-Debatte sei „aufgelegt wie auf dem Silbertablett“, befindet Filzmaier, zumal sie für die Regierung weitgehend „risikolos“ sei. Schließt sich die EU, wo letztlich die relevanten Entscheidungen fallen, mehrheitlich der Haltung Österreichs an, könnten sich Kern und Kurz eines Erfolges rühmen. Wenn nicht, so Filzmaier, lasse sich immer noch mit EU-Bashing Kapital schlagen. – derstandard.at/2000042612107/Wie-der-Streit-mit-der-Tuerkei-der-Regierung-nuetzt

 

Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „BK Kerns Aussagen lösten in der türkischen Regierung so viel Heiterkeit aus wie ein Zigarettenstummel in einer Melange. Nun kürte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Wien zur „Hauptstadt des radikalen Rassismus“. Sein österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz bestellte den türkischen Botschafter ein, dann legte er nach. Am Freitagabend erklärte er den Flüchtlingsdeal sinngemäß für gescheitert. Die EU müsse die Außengrenzen selbst schützen, um nicht mehr erpressbar zu sein, sagte Kurz im ORF. Die Art und Weise, wie Wien die Eskalationsspirale dreht, gefällt Berlin ganz und gar nicht. Denn Deutschland will seinerseits weder das mühsam ausgehandelte Flüchtlingsabkommen kündigen, noch im Vorbeigehen die Beitrittsverhandlungen kippen. Wenn, dann muss das Ankara schon selbst machen.“

„Dass sich Wien nun so ins Zeug legt, hat augenscheinlich auch sehr austriakische Gründe. Hier kommt die FPÖ als Faktor hinzu. Die islamfeindliche Partei ist für die regierende Koalition aus Kerns SPÖ und Kurzens ÖVP ein ziemlich großes Problem. In Umfragen rangiert die FPÖ mit deutlichem Abstand vor den Volksparteien. Kanzler Kern hat sich klar von der rechtspopulistischen Partei abgegrenzt, aber manche in seiner SPÖ liebäugeln mit der FPÖ. Die wiederum umwirbt relativ offen Kurz und sein ÖVP-Umfeld. Der Minister ist im Volk beliebt, aber seine Partei darbt in Umfragen trotzdem. Seit mehreren Legislaturperioden blockieren sich SPÖ und ÖVP gegenseitig bei Reformprojekten, man gönnt einander keine Erfolge. In der Ausländerpolitik treibt die FPÖ die Regierung vor sich her, daran ändern auch weitere Asylrestriktionen nichts. Die Causa Türkei ist für SPÖ und ÖVP eine Chance, sich zu profilieren. Das Thema besetzen und dominieren, lautet die Devise für Kern und Kurz. Und zwar bevor es die FPÖ tut. Kurz hatte am 3. August im Interview mit Spiegel Online den Flüchtlingsdeal zwar kritisiert, aber noch nicht abgeschrieben. Er sprach von Plan A und Plan B. Am 4. August erklärte Kern im ORF die Beitrittsgespräche mit Ankara für gescheitert. Am 5. August erklärte der alerte Außenminister das Flüchtlingsabkommen für erledigt. Von einem Sozialdemokraten will sich der Christsoziale eben nicht rechts überholen lassen.Dabei gibt es noch eine andere

Komponente, die bemerkenswert ist. Denn Kanzler und Außenminister vertreten ähnliche Dinge, aber sie wirken nicht wie ein zusammenarbeitendes Duo wie etwa Merkel und Steinmeier. Die Wiener Wortwahl wird auch deshalb drastischer, weil der SPÖ-Kern und der ÖVP-Kurz sich gegenseitig die Butter vom Brot nehmen wollen, anstatt sich die Jause aufzuteilen. Es ist das alte Dilemma der SPÖ-ÖVP-Koalition.“ ( Süddeutsche Zeitung)

 

Wo bleibt die Demokratie? Wo bleibt der Rechtsstaat?

Die Türkei und die AKP-Regierung haben massive demokratiepolitische und rechtsstaatliche Defizite, die für die EU keinesfalls zu akzeptieren sind. Auf diesem Gebiet ganz besonders, wie der österreichische Bundeskanzler Kern, Außenminister Sebastian Kurz und der Grüne-Abgeordnete Peter Pilz unterstrichen haben. Österreich zeigt sich als türkischer Partner schockiert über Rückschritte bei der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, bei der Gewaltentrennung und insbesondere bei der Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Unabhängigkeit der Justiz.

Aber vorweg sagen wir ganz klar: Die Todesstrafe wird in der Türkei nicht kommen, weil das Verbot in der Verfassung dreifach abgesichert ist! Die türkische Innenpolitik droht überzukochen, aber am Ende wurde in der Türkei bekanntlich nie so heiß gegessen wie gekocht.

Es ist auch von den EU-Staaten ziemlich zynisch, ständig die Todesstrafe für den Abbruch der Beitrittsverhandlungen vorzuschieben. In der Türkei werden seit vielen Jahren die Menschenrechte missachtet und Journalisten verfolgt. Hätte man dann nicht schon längst alle Verhandlungen abbrechen müssen?

Die Türkische KULTURgemeinde fordert hohe Standards im Bereich der Menschenrechte, Rechtssicherheit und Pressefreiheit, denn alles andere stärkt nur die radikalen Kräfte in der Türkei!

 

Traum: Ein türkischer Rechtsstaat ohne islamistische Sekten

Ohne Wenn und Aber fordert die TKG einen säkularen, von religiös-islamistischen Sekten befreiten türkischen Rechtsstaat. Zuallererst gilt es, die Gewaltentrennung umzusetzen! Es kann nicht sein, dass die AKP-Regierung und Präsident Erdoğan von der EU Solidarität gegenüber einer islamistischen Sekte, die sich ungeniert FETO (Fethullahistische Terrororganisation) abkürzt, erwarten. Es handelt sich hier um jenen Prediger Fethullah Gülen, dem Tayyip Erdoğan jetzt auf den Fersen ist. Nicht zu vergessen: Fethullah Gülen war Erdoğans engster Verbündeter. Spätestens hier wird die Geschichte unglaubwürdig! Auf der anderen Seite ist die AKP-Alleinregierung gerade dabei, jenen Platz einnehmen, den bisher ihnen nahestehende, noch schlimmere fundamentalistische und klerikal-faschistischen Sekten, die seit Jahren gegen die säkular-demokratische Verfassung der Türkei kämpfen und sie vernichten oder verwässern wollen, einnehmen. Indem Präsident Erdoğan jetzt gegen diese Gruppierungen losschlägt, erhöht er seine Glaubwürdigkeit.

Die ehemalige SPD-Abgeordnete Lale Akgün denkt hier anders: „Eben habe ich mir die Liveübertragung der Großkundgebung „für Demokratie und Märtyrer“ in Istanbul angesehen. Die Show wurde nicht nur auf allen Fernsehkanälen übertragen, sondern auch auf Großwandleinwänden in allen 80 Provinzhauptstädten der Türkei , damit das Volk auch da zusammenkommen und jubeln konnte. Diese Veranstaltung diente dazu, alle auf die neue Türkei mit Erdogan als den Führer einzuschwören. Das ist gut gelungen. Erdogan und seine Equipe kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch das Volk. Und dieses Volk ist heute ganz schön umschmeichelt worden. Und seine Einheit. Und sein Wille. Zum Beispiel die Todesstrafe. Wenn das Volk es will, dann wird es sie geben, sagt der Führer. Und die Feinde. Die müssen auch benannt werden, damit das Volk zusammenstehen kann, gegen die Feinde. Kurzum: die AKP hat alle Schleusen Richtung Islamo-Nationalismus geöffnet. Die Ideologie „Türk-Islam-sentezi“ , „die türkisch-islamische Synthese“, ist kaum noch zu bremsen oder gar aufzuhalten. Die Veranstaltung fand übrigens in Yenikapi statt, auf deutsch „Neues Tor“. Wenn das kein symbolträchtiger Name ist!“

Hier beginnen die Sicherheits-Probleme der EU und insbesondere der Republik Österreich. Denn genau diese anti-säkulare und anti-demokratische, orthodox-religiöse Partei und Sekten – durch westliche Unterstützung fleißig hinaufgehievt – benutzen seit Jahren Österreich und andere Staaten als politisches Hinterland.

Unter dem Vorwand falsch verstandener Solidarität, Religionsfreiheit und Demokratie oder was auch immer versinkt ein gutes Zusammenleben im Sumpf der Korruption. Statt wirtschaftlicher Sanktionen sollte man in Österreich diese – oft als Vereine getarnten – Parteien und Sekten genau unter die Lupe nehmen! Sie wollen einen Staat im Staat aufbauen und die österreichischen Regierungsparteien unterwandern. Sie wollen alle hart erworbenen demokratischen Werte einreißen. Auch die die anderen EU-Staaten sind von dieser Unterwanderung betroffen!

 

Privileg oder Schande? Die EU-Türkei-Zollunion ist schon lange da: seit 1.1.1996

Auf der anderen Seite dürfen wir als Türkische KULTURgemeinde in Erinnerung rufen, dass die Türkische Republik – zu Lasten seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen – mit der EU schon lange in einer Zollunion ist!

Außer der Landwirtschaft (soll ausgedehnt werden) und den Dienstleistungen (wird ausgedehnt), die stark reglementiert sind, soll die Zollunion weiter expandieren, der Gewinner ist die EU! Diese Zollunion mit der EU ist bereits seit 1.1.1996 in Kraft! Zwischen den EU-Staaten und der Türkei werden seit über 20 Jahren Waren, Dienstleistungen (begrenzt) und Kapital (unbegrenzt) gehandelt und transferiert. Die EU exportiert seit 1996 mehr Waren und Dienstleistungen in die Türkei als diese in die EU. Bis Ende 2015 betrug das Handelsbilanzdefizit für die Türkei über 50 Milliarden Euro, im Durchschnitt ca. 2,5 Milliarden Euro pro Jahr! Das Leistungsbilanzdefizit der Türkei wird durch die Zollunion keineswegs positiv beeinflusst, wie von allen Seiten bisher stets behauptet wurde. Im Gegenteil profitiert vielmehr die EU davon.

 

Faktum: Einmalig für die EU: Null Mitspracherecht seit 1.1. 1996, damit ist die Türkei „Partner zweiter Klasse“

 

Denn die Türkei hat viele vertragliche Verpflichtungen auf sich genommen, aber in den politischen Entscheidungsgremien ist sie weder vertreten, noch irgendwie eingebunden. Ist sie ja nicht Mitglied der EU. Die Türkei hat durch strategische Fehlentscheidungen seit den Neunziger Jahren einen Großteil ihrer nationalen Souveränität nach Brüssel abgetreten, ohne in der Brüsseler EU-Zentrale irgendeinen Einfluss auf den multinationalen Entscheidungsprozess zu haben!

1996 ist die Türkei der inoffizielle „Partner zweiter Klasse“ Europas geworden, der – man mag es bedauern oder nicht – nie Vollmitglied sein wird, allen Diskussionen zum Trotz! Warum sollten sich auch die 28 EU-Vollmitglieder ein handelstechnisch bereits vollkommen abhängiges Land als Vollmitglied wünschen? Mit der Zollunion hat die EU die Türkei ohnedies bereits an der Kandare. Genau deswegen sagt Bundeskanzler Kern im Interview der „Presse“ : Ökonomisch sitzen wir am längeren Hebel. Die Türkei ist von uns weitgehend abhängig.“  Stimmt das?

Zum Beispiel durften aufgrund ihrer nationalen Interessen Spanien, Portugal und Griechenland erst nach Jahren ihrer Vollmitgliedschaft die Zollunion sukzessive verwirklichen. Aber bei der Türkei sollte es nicht nur umgekehrt sein, sie agierte zudem dramatisch falsch. Ja, in gewisser Weise wurde die Türkei sogar Opfer ihres eigenen verhandlungsstrategisch durchaus klugen Stufenplans. Man wollte auf gut Wienerisch „von der Maschekseite“, also durch die Hintertür, in die EU kommen. Dass auf halber Strecke der Pilot aussteigt und beide Fallschirme mitnimmt, war nicht geplant. Auch die jüngeren 14 Mitglieder aus Osteuropa, wie etwa Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Slowenien, Tschechien und die Slowakei, haben nie über „erst Zollunion, dann Vollmitgliedschaft“ verhandelt, keiner hat es auch nur angesprochen, keiner hätte es akzeptiert. Man wurde Vollmitglied und ist parallel dazu gleichzeitig in die Zollunion als gleichberechtigter Partner auf Kommissionsebene und Parlamentsebene eingestiegen. So war das immer, außer bei der Türkei! Auch der jüngste Kandidat, Kroatien, wurde nicht sofort in die Zollunion aufgenommen.

Nun hat die Türkei zwar mit 1.1.1996 als Mitglied der EU-Zollunion sozusagen die höheren Weihen erreicht, aber nicht bedacht, dass es kein politisches Mitspracherecht in Brüssel bezüglich seiner eigenen Zölle mit Drittländern hat. Das bedeutet, in Brüssel entscheiden gerade 28 Vollmitglieder der EU mit den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Repräsentanten und Interessenvertretern auf allen Ebenen über die Zukunft der Europäischen Union, wobei jedes Mitgliedsinteresse berücksichtigt wird. Nicht aber jenes der Türkei. Denn die hat kein Mitspracherecht.

 

Brüsseler Doppelmoral

Wenn Politiker jetzt über die Türkei und ihre Vollmitgliedschaft in der EU reden, ist das nach diesem Putschversuch nicht seriös und rein populistisch. Und davor war es reines Geflunker! Die Vollmitgliedschaft der Türkei steht seit Langem nicht mehr zur Debatte. Nur für die rechtsradikalen Parteien, die dieses Thema ständig aufkochen. Für sie wird die dünne Suppe zur reinen Kraftnahrung! Und wie wir gesehen haben, ziehen nun alle anderen österreichischen Parteien mit. Man sieht: in Österreich ist neuerlich Wahlkampf. Es gilt, die Fähnchen nach dem Wind zu richten! Seit 14 Jahren sehen wir zwischen der EU und der Regierung der Türkei eine gegenseitige Doppelmoral, die den Interessen der EU, wenn man die Rahmenbedingungen genauer analysiert, mehr schadet als der Türkei.

Man musste bald erkennen, dass die Zollunion der EU mit der Türkei kein ausgewogener Handelsvertrag war, sondern ein einseitiges, undemokratisches und rechtswidriges Unionsdiktat. Ohne ihn könnte Brüssel nicht über die türkischen Außengrenzen entscheiden. Eine Mitgliedschaft in der EFTA wäre zumindest sinnvoller als die Zollunion mit dem EU-Zollgebiet. Dann könnte dieser unwürdige Zustand der Türkei aus der Welt geschaffen werden. Da die Zollunion mit dem EU-Zollgebiet im türkischen Parlament nie auf demokratische Weise ratifiziert wurde, bräuchte man nur eine Erklärung der Regierung, damit man aus dieser Zollunion heraus in eine Handelsbeziehung ähnlich jener der EU mit der Schweiz treten kann. Es bleibt abzuwarten, wann die Erdogan-Türkei diesen Schritt macht.

 

Selam Selam Euroasien-Lebewohl, Amerika und Europa?

Für die Türkei wäre es der falsche Weg, zu versuchen, durch wirtschaftlichen Druck etwas von der EU zu erreichen, denn die Türkei sitzt nicht unbedingt am kürzeren Ast. Die EU ist nicht mehr die alte, starke EU, sondern bewegt sich hin zu einer Zwergerl-Gemeinschaft, die politisch und wirtschaftlich, wenn es so weiter geht, nicht mehr ernst genommen wird. In der Türkei herrscht sowieso kein großes Interesse an einer Vollmitgliedschaft, außer an der attraktiven Touristen-Visa-Liberalisierung. Die Türkei verabschiedet sich gerade schrittweise von der westlichen Welt und wendet sich langsam Russland, China, dem Iran, Syrien und anderen Ländern zu. Hier besonders der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) und BRICS. Die Amerika-Enttäuschung ist groß und mit Europa gibt es nur Probleme. Das ist der Status quo. Warum sollte die Türkei sich nicht aus der Zollunion lösen und eine EFTA-ähnliche Wirtschaftsbeziehung, wie sie die Schweiz mit der EU für sich speziell vereinbart hat, eingehen?

 

Österreich ist Weltspitze: Verlässlichkeit, Qualität, Innovation, Know-how

Die Türkische KULTURgemeinde in Österreich unterstützt die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Österreich und der Türkei, die sukzessiv in den letzten Jahren ein Handelsvolumen in der Höhe von ca. 2,85 Milliarden Euro erreicht haben (Jahr 2015). Die österreichischen Unternehmen exportieren Waren und Dienstleistungen in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro und schaffen in Österreich damit ca. 8.000 Arbeitsplätze. Österreich exportiert mehrheitlich Produkte wie Arbeitsmaschinen, Eisen und Stahl, Kunststoffe, elektrische Maschinen, Apparate und Geräte, worauf im übrigen der Putsch vom Juli 2016 bisher keinen messbaren Einfluss hatte. Wiedereinmal zeigt sich, dass solide Handelsbeziehungen nachhaltiger sind, als politische Kleinkrämerei.

Im Zeitraum 2002 bis Juni 2015 wurden insgesamt 9,34 Mrd. US-Dollar aus Österreich in der Türkei investiert, womit wir im kumulierten Zeitraum hinter den Niederlanden auf Platz 2 liegen. Österreich ist in den letzten Jahren bezüglich Inventionen in der Türkei allerdings mit ca. 40 Millionen ziemlich zurückgegangen.

Die Türkische KULTURgemeinde anerkennt die Leistung der österreichischen Wirtschaft, denn die österreichischen Unternehmen gehören am globalen Parkett puncto Qualität, Innovationskraft, Know-how und Verlässlichkeit zur Weltspitze.

 

Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht.

Dabei muss man unbedingt zwischen der Regierung mit 58% der Parlamentssitze und den türkischen Bürgern unterscheiden. Es ist zur Zeit vielleicht populistisch chic, die Türkei mit ihren Bürgern, der AKP-Regierung und Präsident Erdoğan in einen Topf zu werfen und pauschal anzugreifen. Fair ist es nicht.

 

TKG fordert: Zurückhaltung im Ton und Abrüstung der Wörter!

Österreich sollte sich daher verbal zurückhalten!

Die Türkei muss – ohne die Hilfe religiöser Sekten – auf den Boden der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückfinden!

 

Türkische KULTURgemeinde in Österreich

Obmann

Dipl.-Ing. Birol Kilic

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