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Menschenrechtsbefund 2016: Hass im Netz gegen Geflüchtete steigt

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Am 10. Dezember wird der Tag der Menschenrechte begangen.

Er gilt als Gedenktag zur Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948.  Aus diesem Anlass präsentiert die „Österreichische Liga für Menschenrechte“ den Menschenrechtsbefund 2016. Darin werden unter anderem menschenrechtliche Schieflagen in puncto Rassismus und Asylpolitik aufgezeigt.

Hetze und Hass im Internet gegen Geflüchtete nehmen demnach zu. Die „Obergrenze“ verstoße gegen die Grundrechtecharta. Das Schutzsystem für geflüchtete Frauen weise Lücken auf. Die Medienservicestelle Neue Österreicher/innen (MSNÖ) fasst die wichtigsten Ergebnisse in den Bereichen Asyl und Flucht zusammen.

 

Hass im Netz zielt auf geflüchtete Personen

„Geflüchtete – und assoziiert mit den Herkunftsregionen generell Personen, die dem Islam zugeordnet werden – sind seit Herbst 2015 zu einer der Hauptzielscheiben für Online Hass avanciert, und das nicht nur in Österreich, sondern in vielen Teilen Europas“, schreibt Claudia Schäfer von der Antirassismus-Stelle ZARA. Nach wie vor nehmen Hetze und Hass im Internet laut Menschenrechtsbefund zu. Betroffen sind nicht nur geflüchtete Personen, sondern auch all jene, die sich für einen menschenrechtlichen Umgang mit Flüchtlingen aussprechen (zum Beispiel PolitikerInnen oder JournalistInnen).

 

Auch der Verfassungsschutz berichtet von zunehmender Hetze im Internet. So stiegen die strafrechtlich relevanten Hinweise, die bei der NS-Meldestelle eingegangen sind, um mehr als das Doppelte: 2014 gingen 629 strafrechtlich relevante Hinweise ein, 2015 waren es 1.351. Der Anstieg sei auf die Anzeigen auf Grund von Verhetzung vor allem auf die steigende Zahl entsprechender Beiträge im Internet, zurückzuführen, heißt es im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 (siehe auch MSNÖ-Artikel: Massiver Anstieg rechtsmotivierter Straftaten).

Von den von ZARA dokumentierten Fällen von Rassismus und Diskriminierung im Jahr 2015 fanden 20 Prozent im Internet statt. Dem Forum gegen Antisemitismus wurden im vergangenen Jahr 465 antisemitische Vorfalle gemeldet, 20 Prozent davon fanden im Internet statt.

 

Als besonders problematisch sieht Schäfer dabei zahllose Beispiele, die zeigen, dass der im Netz ausgedrückte Hass sich offline manifestieren kann – sei es, weil dadurch die Debatte rund um die Themen Flucht und Migration zusätzlich angeheizt wird oder weil Aufrufe zu Gewalt gegen Geflüchtete tatsächlich umgesetzt werden.

 

Um Hetze und Hass im Internet entgegenzusteuern, richtet der Menschenrechtsbericht u.a. folgende Empfehlungen an die Politik:

 

  • Informations- und Bildungsangebote für Internet-NutzerInnen zur Erkennung gefährdender und illegaler Inhalte
  • Schaffung von Anlaufstellen und Beratungseinrichtungen für Opfer und ZeugInnen
  • Einrichtung einer Infrastruktur, die die Einhaltung des „Code of Conduct für den Umgang mit illegaler Hassrede“ kontrolliert und sicherstellt
  • Stärkung bestehender Beratungs- und Meldeeinrichtungen

 

Lücken beim Schutz von geflüchteten Frauen

Einen Schwerpunkt widmet der Menschrechtsbefund dem Thema Gewalt gegen Frauen. Dabei wird kritisiert, dass nicht alle Frauen den gleichen Zugang zu Unterstützungsstrukturen sowie den entsprechenden Rechtsmitteln haben. Dazu zählen auch Frauen auf der Flucht.

 

In Österreich stieg der Anteil der Frauen, die um Asyl ansuchen, von 24,2 Prozent im Jahr 2014 auf 27,7 Prozent im Jahr 2015. Im laufendem Jahr gingen bis Ende Oktober 2015 12.099 Anträge von Frauen ein. Das entspricht einem Anteil an allen Asylanträgen von 32,5 Prozent (siehe MSNÖ-Artikel: Frauen und Flucht: Zahlen und Fakten).

 

Während in der Istanbul-Konvention* und in der Allgemeinen Empfehlung Nr. 32 der UN-Frauenrechtskommission festgelegt ist, dass von Gewalt betroffene Frauen ausreichenden Schutz erhalten müssen sowie frauenspezifische Verfolgungsgründe anzuerkennen sind, sieht die Realität laut aktuellem Menschenrechtsbefund anders aus. Konkret wird kritisiert, dass geflüchtete Frauen in der öffentlichen Diskussion zu Asyl und Flucht zu selten thematisiert werden. Zudem fehlen Daten, um das Ausmaß von geschlechtsspezifischer Gewalt bemessen zu können.

 

Weitere Kritikpunkte, die die Wissenschafterin Sabine Mandl benennt, betreffen insbesondere die Unterbringung. So seien die „im Gewaltschutzgesetz vorgesehenen Instrumente, wie die Wegweisung, das Betretungsverbot oder die Einstweilige Verfügung nur bedingt auf asylsuchende Frauen in Flüchtlingsunterkünften anwendbar“. Gleichzeitig werde Gewalt gegen geflüchtete Frauen begünstigt durch überfüllte Wohneinheiten, oftmals fehlenden Dusch- und Waschmöglichkeit oder durch die gemeinsame Unterbringung von alleinstehenden Frauen und minderjährigen unbegleiteten Mädchen mit Männern.

 

„Obergrenze“ verstößt gegen Grundrechtecharta

Anfang des Jahres beschloss die Bundesregierung die „Obergrenze“ für Flüchtlinge und verkündete, dass im laufenden Jahr 37.500 Personen in Österreich um Asyl ansuchen dürfen. Auch für die kommenden Jahre wurden „Obergrenzen“ festgelegt: 35.000 Asylanträge 2017, 30.000 Asylanträge 2018, 25.000 Asylanträge 2019 (siehe MSNÖ-Artikel: Österreich 2016: Maximal 37.500 AsylwerberInnen). Bis Ende Oktober gingen im laufenden Jahr 37.256 Asylanträge in Österreich ein, davon wurden jedoch nur 21.680 zum Verfahren zugelassen.

 

Die „Obergrenze“ für Flüchtlinge wurde und wird nicht nur von Zivilgesellschaft und unterschiedlichen NGO’s stark kritisiert, sondern verletzt laut dem Menschenrechtsbefund die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

 

„Tatsächlich führt die 2016 in Österreich vorgenommene Gesetzesänderung zu einer Verletzung von EU Primärrecht und stellt eine reele Gefahr der Verletzung der Grundrechte dar“, erklärt Emanuel Matti vom Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht im Menschenrechtsbefund. Konkret verstößt die neueste Novelle des Asylgesetzes gegen Artikel 47 der Grundrechtecharta: Diese legt das Recht auf ein unparteiisches Gericht und auf einen wirksamen Rechtsbehelf fest. Durch die Gesetzesänderung sei jedoch „kein effektives Rechtsmittel gegen behördliche Zwangsmaßnahmen vorgesehen“ sowie der „Zugang zum regulären Asylverfahren und seinen Garantien eingeschränkt“, erklärt Matti weiter. Zudem verstoße die österreichische Gesetzesänderung gegen Artikel 20 der Grundrechtecharta, der die Gleichheit aller vor dem Gesetz regelt.

 

Nicht nur Flüchtlinge von Kürzung der Mindestsicherung betroffen

Ein in den vergangenen Monaten heftig diskutiertes Thema in Österreich ist die Bedarfsorientierte Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte und Flüchtlinge. Im Menschenrechtsbericht wird aufgezeigt, dass die BezieherInnen-Zahlen der Mindestsicherung nicht erst seit den verstärkten Fluchtbewegungen steigen. Bereits seit 2000 – also auch im alten System der Sozialhilfe – nahmen die Zahlen der BezieherInnen in einem ähnlichen Ausmaß zu wie jetzt: „Über Flüchtlinge wird gesprochen, um über die wahren Gründe für den Anstieg der Mindestsicherung im letzten Jahrzehnt zu schweigen: fehlende Arbeitsplätze, steigende Wohnkosten, schwere gesundheitliche und psychische Probleme, Pflegekosten, ein aussonderndes Bildungssystem, prekäre und nichtexistenzsichernde Jobs“, so der Mitbegründer der Armutskonferenz, Martin Schenk, über die seiner Meinung wahren Gründe des Anstiegs der BezieherInnen.

 

Einzelne Bundesländer änderten bereits ihre Gesetze bezüglich der Frage, wer wie viel Mindestsicherung erhalten soll. Laut Armutskonferenz seien von den Gesetzesänderungen nicht ausschließlich Schutzberechtige oder Asylberechtigte betroffen. Massive Verschlechterungen werde es künftig u.a. für GeringverdienerInnen, alleinerziehende Mütter, chronisch kranke Personen, für MindestpensionistInnen oder für Eltern, die mit ihren erwachsenen Kindern mit Behinderung in einem Haushalt leben, geben.

 

Daher kritisiert Schenk, dass auf dem Rücken der aktuellen Fluchtbewegungen eine Neiddebatte geführt werde, obwohl von der Kürzung der Mindestsicherung nicht nur Flüchtlinge, sondern generell die Ärmsten der Gesellschaft betroffen sind: „Während Menschenrechte im Kontext von Asyl zunehmend ausgehebelt werden und soziale Grundrechte bei den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung unter Druck geraten, wird in fast jeder Diskussion, in beinahe jeder Rede, sowie in jedem zweiten Zeitungsartikel auf ‚unsere Werte‘ gepocht“, so Schenk.

 

 

Weitere Informationen und Kontakte:

 

* Die Konvention des Europarates zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt, auch Istanbul-Konvention genannt, trat 2014 in Kraft. Österreich ratifizierte die Konvention bereits 2013.

 

Österreichische Liga für Menschenrechte, Kira Preckel, Tel.: 0650 416 76 44,  k.preckel@liga.or.at

 

Bundesministerium für Inneres, Asylstatistiken

 

Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Bundesministeriums für Inneres; karl-heinz.grundboeck@bmi.gv.at; Tel: 01 53126 – 2490

 

ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit, Claudia Schäfer, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: +43 (0) 1 929 13 9918, presse@zara.or.at  

 

Armutskonferenz, Martin Schenk, Tel.: 01 40 9 80 0 1- 12, martin.schenk@diakonie.at

www.facebook.com/pages/Medien-Servicestelle-Neue-%C3%96sterreicherinnen/220692274684591

 

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