Ausgewählt

Türkische Kulturgemeinde: „Die Hagia Sophia muss ein Museum bleiben! Sie gehört der Menschheit.“

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In der Türkei wird gerade, als ob es keine anderen Probleme gäbe, leider ein Pseudoproblem über die Hagia Sophia (Die Heilige Weisheit) von den reaktionären Kräften erschaffen, das heiß, verletzlich und spaltend  diskutiert wird. Am 2 Juli 2020 wird nach einem erneuten Umwidmungs-Aufruf vom obersten Verwaltungsgerichtshof „Danistay“ eine Entscheidung erwartet, ob das Museum der Hagia Sophia erneut in eine Moschee umfunktioniert werden darf.

Die Hagia Sophia ist von der UNESCO als Kulturerbe der Menschheit anerkannt. Auch der oberste Verwaltungsgerichtshof der Türkischen Republik (Danistay) hat die Entscheidungen von Atatürk aus dem Jahre 1934 durch eine verbindliche Gerichtsentscheidung vor mehr als 10 Jahren schon bestätigt. Warum aber sollte der oberste Verwaltungsgerichtshof „Danistay“ der Türkei die Entscheidung jetzt rückgängig machen? In einem Rechtsstaat, darf so etwas nicht passieren.

Das kann und wird nur großes Unglück bringen

Die Türkische Kulturgemeinde (TKG) als  ein den pluralistischen, freiheitlichen, demokratischen und rechtstaatlichen Prinzipien verpflichteter Think Tank NGO fordert  die türkische Regierung in aller Freundschaft auf, im politischen, wirtschaftlichen, internationalen Interesse, sowie im Interesse der Türkei und der Auslandstürken die Moschee Diskussionen über das Hagia Sophia (Ayosofya) Museum zu beenden. Das kann und wird auf vielen Gebieten  im 21. Jahrhundert nur großes Unglück bringen.

1934  in ein Museum umgewandelt

Die im sechsten Jahrhundert erbaute Hagia Sophia, damals 900 Jahre die größte Kirche der Welt, wandelten Osmanen nach der Eroberung Konstantinopels, heute Istanbul, im Jahr 1453 in eine Moschee um. Unter Staatsführer Atatürk wurde sie nach 500 Jahren als Moschee 1934 profaniert und zu einem Kirche-Moschee-Museum umgewandelt. Unter der Regierung des Gründers der modernen Türkei Kemal Atatürk wurde im Jahre 1934 eine richtige und gute kulturpolitische Entscheidung getroffen. Atatürk und seine Mitstreiter hatten damals erkannt, dass die Widmung des Gebäudes für die junge Türkei ein religiöser und ethnischer Zündstoff ist. Die Regierung Atatürk und ihre Experten sahen, dass „die größte Bedrohung moderner Gesellschaften von den religiös oder ethnisch-rassisch motivierten Kulturkämpfen der Minderheiten, die durchaus die Mehrheit bilden können, ausgeht.“

Das Ziel von Atatürk und seinen zuständigen Freunden in der damaligen stark säkularen  Regierung war es, die Hagia Sophia als kulturelles Wahrzeichen der Welt zu präsentieren. Wir sind stolz darauf, mit der Hagia Sophia Museum eine christlich-orthodoxe,  römisch- katholisch( 1204-1261) uns ab 1453 auch islamische Vergangenheit zu haben. Seit 1934, also seit über 86 Jahren, ist die Hagia Sophia ein profanes Museum und wurde zum Weltkulturerbe ernannt, worauf viele Türken und Türkinnen in der Türkei, in Österreich und in der EU sehr  froh sind. Jetzt ist sie seit 1934 als Museum anerkannt und zeigt damit auch die Toleranz und Großzügigkeit der modernen Türkei die in Zukunft mehr und aber nicht weniger sein sollte.

Trotzdem wird seit Jahren von reaktionären Kräften in der Türkei versucht, unter dem Vorwand „Souveränität der Türkei“ beziehungsweise unter dem „Schwertrecht der Eroberung“ die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln.

 

Nicht nur zeitgemäß ist sondern auch tief reaktionär

Die Moscheen in der Nähe der Hagia Sophia sind nicht so gut besucht, dass ein weiterer Gebetsort notwendig ist.  Fakt ist: Tagtäglich werden die über 84.000 Moscheen in der Türkei, aufgrund des Missbrauchs der Religion von bestimmten Sekten, Parteien und Organisation aus dem Aus- und Inland, leerer und leerer Die Hagia Sophia hat für das Christentum einen sehr wichtigen sozialen, architektonischen, kulturellen, politischen und klerikalen Wendepunkt durch mehrere Epochen verursacht. Die Wirkungen sind heute  in der Türkei und in der Welt vorhanden. Die reaktionären Kräfte wollen, dass die Hagia Sophia, die 1934 durch Atatürk in ein Museum umgewandelt wurde, nach 86 Jahren wieder in eine Moschee umwandeln. Das wird  indirekt auch die Auslandstürken in Österreich und in der EU. Nicht nur Auslandstürken, sondern alle Muslime in der Welt, die als MigrantInnen überall ( in der EU, Amerika, England etc. )leben negativ beeinflussen. Weil es nicht nur zeitgemäß ist sondern auch tief reaktionär

 

Wer will die Hagia Sophia in einer Moschee Umwandeln?

Laut dem staatlichen „Diyanet“ (deutsch Präsidium für Religionsangelegenheiten) existieren in der Türkei insgesamt 84.684 Moschen, davon 3.269 in Istanbul (Stand 30. August 2019). Vor einem Jahr haben sich in der „Camlica Moschee“ erstmals Gläubige zum Morgengebet unter dem Motto „die Größte Moschee in der Türkei“ versammelt. Die Camlica Moschee hat sechs Minarette und bietet Platz für bis zu 63.000 Menschen. Es gibt kein Land der Welt, das so viele Moschen hat oder baut. Nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland. Das Diyanet ist eine staatliche Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten in der Türkei. Das Diyanet ist direkt dem Präsidenten der Republik Türkei unterstellt.

Die Hagia Sophia steht in der Türkei als Hauptinteresse auf der Liste der reaktionären Agenda. Das überholte Konzept des „Schwertrechts“, das einige reaktionäre und chauvinistische Historiker häufig und beharrlich aus der Mottenkiste der Geschichte zerren und immer wieder zitieren, wird gerne seit Jahren leider als aktuelles politisches Instrument von der gleichgeschalteten fundamentalistischen türkischen Presse verbreitet.

Der Hagia Sophia wird eine überhöhte gesellschaftspolitische Relevanz eingeräumt. Von Zeit zu Zeit werden die Umwidmungsphantasien auf die Tagesordnung der Politik gesetzt und damit das museale Gebäude politisch instrumentalisiert.

Man will hier eigentlich Sieg“ gegen die „säkulare“ Republik Türkei erringen

Das Kulturerbe der Hagia Sophia hat eine Transformation mit der Entscheidung durchlaufen, sich keinem Ritual einer Religionsgemeinschaft zu öffnen. Das utopische Ziel jener, die die Verwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee vertreten, ist es, sich über die intakte
Republik und ihr säkulares Staatsverständnis hinwegzusetzen. Für die reaktionären Kräfte in der Türkei gilt zuerst die Symbolwirkung, die von dem monumentalen Gebets-Gebäude ausgeht. Sie wollen einen „Sieg“ gegen die „säkulare“ Republik Türkei erringen, indem ein bedeutendes Museum zu einer Moschee transformiert wird.

Nicht nur das. Das heutige Museum wurde seit den ersten Jahren der Republik von reaktionären und fundamentalistischen Kreisen und der Eroberung des Dschihad instrumentalisiert. Sie war auch das Zentrum vieler reaktionär-islamischer Referenzen. Es wird damit deutlich, dass auch historisch das Phänomen der Hagia Sophia mehr ein politisches Symbol als ein religiöses Bestreben ist.

Alle Einwände gegen die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum waren vom ersten Tag an politischer Natur. Die bisherige politische Kritik scheint jedoch kaum einen konsequenten Anhaltspunkt zu haben. Fast alle Kritikpunkte an politischen Interessen treten unter chauvinistischen, modernisierungsfeindlichen und religiösen bzw. reaktionären Eigenschaften in den Vordergrund.

Im politischen Interesse sollten die Moscheediskussionen der Hagia Sophia als illegitime, unbegründete und inakzeptable Täuschung entlarvt und die Diskussion beendet werden. Der einzige Angriffspunkt, den nationalistische und reaktionäre Geister seit vielen Jahren vertreten, sind ideologische Rückzugsgefechte. Eine falsche und schädliche Stimmung, die von diesen Demagogen gespeist wird, hält von den ersten Jahren der Republik Türkei bis heute an. Die Debatte über die Hagia Sophia sehen wir als TKG  ungerechtfertigt an, weil sie als politische Agenda betrieben wird und sich keiner echten Diskussion stellen will.

 

Tolerant gegenüber allen Religionen. So haben wir es gelernt.

Wenn die Debatte bloß auf Religion und Nationalität reduziert wird, gibt es keinen Raum mehr für einen echten Dialog. Die moderne Türkei und die Mehrheit der TürkInnen sind tolerant gegenüber allen Religionen. So haben wir es gelernt.

Es handelt sich hier offensichtlich um eine einseitige Politik gegen die Modernisierung des Staates und gegen die moderne Türkische Republik. Diese engstirnige Politik ignoriert universelle Prinzipien und fordert unter dem Vorwand, angebliche islamische und ethnische Gefühle zu vertreten (was nicht stimmt), die Öffnung der Hagia Sophia für den Gottesdienst.

Die Kontroverse, die Hagia Sophia in eine Moschee zu verwandeln, ist ebenso religiös unbegründet wie staatspolitisch fehl am Platz. Auch nach Ansicht der Mehrheit nationaler Rechtsprechung -der oberste Verwaltungsgerichtshof der Türkischen Republik – ist dies nicht der Fall.

Die Umwandlung des Inneren des Gebäudes in eine Moschee würde viele innenarchitektonische Umbaumaßnahmen erfordern, die den historischen Zustand verändern und zerstören. Selbst unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen wäre die bauliche Substanz stark gefährdet.

Darüber hinaus wird die UNESCO die Entscheidung, die Hagia Sophia in eine Moschee umzubauen, als politische Entscheidung werten. Alleine aus diesen beiden Gründen hat die UNESCO schon das Recht Istanbul allgemein von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen. Diskussionen über die Hagia Sophia sind ein ernstes internationales Agenda-Thema. Ihre Umwandlung in eine Moschee ist unter den genannten Bedingungen oder den damit einhergehenden Gefahren und Auswirkungen unmöglich.

Dazu kommt noch der Zuwachs der Minderheiten, der MuslimInnen bzw. TürkInnen, die in der EU und in Österreich leben. Die Diskussion sorgt für Irritationen in der christlichen Welt.  Hetze gegen TürkInnen und der Türkei im Ausland sind die Folge. Die Türkei hat in den letzten Jahren mit den Steuergeldern der türkischen BürgerInnen immerhin dreißig wichtige Kirchen in der Türkei renoviert, worauf man sehr stolz sein sollte. Doch auch der Instandhaltung von Synagogen, wie z. B. jener in Edirne, der größten Synagoge Europas, wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt.


Was erwarten wir?

In der Hagia Sophia muss ein modernes und lebendiges Museumsverständnis wie in Österreich geschaffen werden.

Die Vervollständigung der Bestandsaufnahme der vorhandenen Kulturgüter, die Umsetzung von Bauleitplänen, die Überwachung der archäologischen Stätten und der sie umgebenden Kulturlandschaft sind wichtige Themen.

Die Hagia Sophia ist ein einzigartiges Wertesymbol

Es ist nicht vertretbar eine solche historische Baustruktur mit ihrer komplexen Geschichte auf Konflikte zu beschränken, die wissenschaftliche Studien ignorieren. Hinter den Diskussionen darüber, dass die Hagia Sophia wieder in eine Moschee verwandelt werden soll, steht ein tiefer politischer Kampf.

Die Tatsache, dass die Hagia Sophia als Museum allen Besuchern gleichermaßen offen steht, ist die einzige Möglichkeit, die den universellen Wert dieses einzigartigen Denkmals offenbart. Die Hagia Sophia sollte als Museum erhalten bleiben, das mit universellen Konservierungs- und Restaurierungspraktiken alle kulturellen Relikte zu erhalten hat. Denn so ein wichtiges Wertesymbol existiert auf der Welt kein zweites Mal.

Die Hagia Sophia gehört keiner bestimmten Menschengruppe an. Sie gehört der gesamten Menschheit und steht lediglich unter der Verwaltung und Besitz eines Staates, der sich mithilfe von Stiftungen gewissenhaft und engagiert um ihren Erhalt kümmern soll.

Die Türkei und die Mehrheit ihrer BürgerInnen, sowie alle aus der Türkei stammenden Europäer und Europäerinnen in Österreich und in der Welt können auf diese Diskussion verzichten. Niemand muss sich mehr mit der Umwandlung der Hagia Sophia beschäftigen. Es geht nicht um die Umwandlung, sondern um den Erhalt eines Wertesymbols für die ganze Welt und Menschheit. Die TKG fordert, dass die Hagia Sophia als Museum mit universellem Konservierungs- und Restaurierungsbedarf für die kulturellen Relikte erhalten bleibt. Zudem schlägt die TKG die Gründung eines Hagia-Sophia-Instituts vor

Wir wünschen „Friede daheim, Friede in der Welt.“

Wir wünschen uns, dass die Türkei wieder mit diesen wichtigen Worten den eigentlichen Grundstein der modernen Türkei wiederfindet, ohne die Gesellschaft im In- und Ausland zu spalten.

Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG)-

Obmann

DI Birol Kilic

 

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