Damals, als die modernen Wiener Türken mit ihrem säkularen Verständnis und ihrer säkularen Haltung im Jahr 1993 von der Stadt Wien und der Wirtschaftskammer Wien ausgezeichnet wurden.
von Murat Gündüz, Wien, 9. September 2019
WIEN. Wussten Sie das? Die Stadt Wien hat säkulare türkische Vereine bis 1998 offiziell anerkannt und gewürdigt. Heute lässt sich das leider nicht mehr behaupten. Hier liegt ein Beweis aus dem Jahr 1993 vor – also genau vor 26 Jahren – als ein Verein namens EATA selbständig, mit eigenen Mitteln und mit Sponsoren aus der europaweiten Mitgliedschaft eine bedeutende Veranstaltung zum damals wie heute hochaktuellen Thema „Säkulares Leben in der Stadt Wien“ organisiert hat.
Birol Kilic war nach der europaweiten Organisation Vorstandsmitglied und für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zuständig – bis zu seinem Abschluss an der Technischen Universität Wien als Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, Nachrichtentechnik und Biomedizintechnik im Jahr 1993.
Der Obmann der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich (TKG), Birol Kilic, war damals Vorstandsmitglied und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins EATA (Europäischer Verband der Türkischen Akademiker), der diese wichtige Veranstaltung im PENTA Hotel mitorganisiert und auf allen Ebenen verantwortet hat. Die Zentrale des Vereins befand sich in Berlin, und in Österreich wurde damals der „Europäische Verband der Türkischen Akademiker“ (EATA) als Teilverband der Berliner Zentrale gegründet. In allen europäischen Städten waren diese emanzipierten, modernen Euro-Türken im Alter von 19 bis 24 Jahren aktiv und haben ehrenamtlich gearbeitet.
Mit dem Titel „Die Gründung der modernen, säkularen Türkei gegen die Scharia und Atatürks Gedanken und Verdienste“ wollte der Verein im Jahre 1992 insbesondere die säkularen Lebenserfahrungen aus der Türkei nach Wien und Europa bringen, weil man damals eine Entwicklung beobachtete: Die Vermischung von Politik und Religion könnte in Österreich unter dem Vorwand „Religionsfreiheit, Dialog, Solidarität“ künftig ein Missbrauchsproblem darstellen.
Denn seit den 1980er Jahren haben sich in Österreich, Deutschland, Belgien usw. reaktionäre Vereine und Verbände etabliert, die ursprünglich politische, reaktionäre Parteien aus der Türkei waren, dort verboten wurden und deren Protagonisten sich nach Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien und bis in die Niederlande wie eine Holding AG verbreitet haben.
Diese Parteien – heute als Vereine, Verbände oder sogar als legale Glaubensgemeinschaften in Österreich und Deutschland aktiv – haben der modernen, säkularen westlich geprägten Türkischen Republik und ihren Werten den Kampf angesagt und wurden deshalb mehrfach wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten.
Gerade diese antimodernen, reaktionären Parteien, Sekten und deren Unterverbände haben die demokratische Grundordnung der Türkei bis ins Mark missbraucht. Leider begann dies mit westlichen Ländern, insbesondere England, den USA und später Deutschland, die unter dem Vorwand antikommunistischer grüner linker Politik muslimische Akteure unterstützten – auch gegen Russland.
Mit der Konferenz im Jahr 1992 wollte die EATA die Europäer und Euro-Türken wachrütteln. Die Türkei ist das einzige von 54 Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, das seit 1923 laizistisch geprägt ist. Die Erfahrungen und das Know-how der säkular lebenden Türkinnen und Türken sollten in Europa genutzt werden. Es kommen schwere Zeiten auf die Türkei und Europa zu – und dafür sollte man den bisherigen Verlauf der Gründung der modernen säkularen Türkei kennen, verstehen und sich damit auseinandersetzen.
Da die Konferenz vom 11. bis 13. November 1993 mit rund 500 Akademikerinnen und Akademikern sowie Studierenden aus verschiedenen EU-Ländern sehr erfolgreich durchgeführt wurde, sprachen die Stadt Wien und die Wirtschaftskammer Wien ihre Anerkennung und ihren Dank für die Veranstaltung aus. Ob die Stadt Wien in den vergangenen 26 Jahren von dieser Erfahrung profitiert hat, ist leider nicht bekannt.
Jedenfalls wurde damals bei der offiziellen Anerkennungsfeier, die in der Wiener Innenstadt in den Räumlichkeiten der Stadt Wien stattfand, die Urkunde vom damaligen Bürgermeister Dr. Helmut Zilk, vom Vizebürgermeister und Präsidenten des Wiener Tourismusverbandes Hans Mayr sowie vom Präsidenten der Wiener Wirtschaftskammer Komm.-Rat Dr. Walter Nettig unterzeichnet.
Auf dieser Anerkennungsurkunde steht: „Die Stadt Wien, die Wirtschaftskammer Wien und das Kongressbüro des Wien Tourismus sprechen ihre Anerkennung und ihren Dank für die gelungene Veranstaltung – Meeting of the European Association of Turkish Academics, 11–13 November 1993“ aus.
Birol Kilic, damaliger Sprecher der EATA (Vereinigung Türkischer Akademiker in Europa), sagte der damals renommierten Tageszeitung Hürriyet im Jahr 1994 nach der Überreichung der Anerkennungsurkunde: „Mit großer Freude haben wir zwischen dem 11. und 13. November 1993 eine Konferenz mit dem Titel ‚Die Geburt der modernen Türkei gegen die Scharia und die Gedanken und Verdienste Atatürks in Wien‘ organisiert. An dieser Konferenz, zu der sehr viele Akademikerinnen und Akademiker aus verschiedenen Ländern Europas nach Wien gekommen sind, haben auch zahlreiche Österreicherinnen und Österreicher teilgenommen. Das ist eine Bestätigung für unsere Arbeit und für das Zusammenleben in Wien, wo für uns der Laizismus als Sauerstoff der Demokratie und des Rechtsstaates von immenser Bedeutung ist. Diese Anerkennungsurkunde der Stadt Wien und der Wirtschaftskammer Wien gibt uns viel Kraft und Bestätigung für die Zukunft. Wir werden nicht aufgeben. Vielen Dank.“
Die EATA stellte sich damals laut Birol Kilic wie folgt vor:
EATA – Die Europäische Vereinigung Türkischer Akademiker, aktiv seit 1987. Ein europaweites Netzwerk türkischstämmiger Studierender und Absolventen, das seit 2005 de facto nicht mehr existiert.
Die meisten Mitglieder wurden in Westeuropa geboren oder sind zumindest dort aufgewachsen und gehören zur sogenannten „zweiten Generation“.
Die EATA war das größte Netzwerk der zweiten Generation der in Europa lebenden Türken.
EATA war eine unabhängige, überparteiliche, überethnische und überkonfessionelle Vereinigung.
EATA trug zur Bildungsmobilität, zur vertieften Integration und zur effektiven Interessenvertretung der türkischen Bevölkerung in Westeuropa bei.
Die EATA leistete einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung und förderte den europäisch-türkischen Dialog auf kultureller, politischer und wirtschaftlicher Ebene.
EATA bemühte sich um ein objektives Bild der türkischen Bevölkerung und der Türkei in der europäischen Öffentlichkeit.
EATA stand in engem Dialog und in Kooperation mit politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Institutionen in Westeuropa und der Türkei.
Die EATA bestand aus lokalen, eingetragenen Vereinen, die als gemeinnützig anerkannt waren.
Die EATA finanzierte sich durch Zuwendungen aus der Privatwirtschaft, Projektförderungen sowie durch Spenden und Mitgliedsbeiträge