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Atatürks Bildhauer im Fokus: Gedenkzeremonie zum 102. Republikjubiläum am Krippel-Denkmal in Wien

Atatürk: „„Ein Künstler küsst keine Hand – man küsst die Hand des Künstlers.“

Die Türkische Kulturgemeinde (TKG Think Tank) wird den 102. Jahrestag der Gründung der Republik Türkei mit einer besonderen Zeremonie am Denkmal des Wiener Künstlers Heinrich Krippel begehen, der als „Bildhauer Atatürks“ bekannt ist. Die Veranstaltung zu Ehren Krippels, der unter anderem das berühmte Ehrenmal von Samsun vom 19. Mai sowie zahlreiche weitere Atatürk-Denkmäler in Wien geschaffen hat, findet am Sonntag, den 2. November 2025 um 15:00 Uhr vor dem Atatürk-Denkmal auf dem Friedhof Ober St. Veit (Gemeindeberggasse 26, 1130 Wien) statt. In der Einladung wird auch ein Zitat von Atatürk aufgeführt, das den Respekt gegenüber Künstlern als Fundament der modernen Zivilisation betont: „Ein Künstler küsst keine Hand – man küsst die Hand des Künstlers.“ Dieses Zitat steht sinnbildlich für die große Wertschätzung und die Freiheit, die Künstlern und Intellektuellen in der frühen Republik eingeräumt wurden.

Veranstaltungsinformationen

Datum: Sonntag, 2. November 2025, 15:00 Uhr
Ort: Friedhof Ober St. Veit, Gemeindeberggasse 26, 1130 Wien

Heinrich Krippel: Die Botschaften in seinen Atatürk-Denkmälern

Die Atatürk-Denkmäler von Heinrich Krippel sind visuelle Manifestationen der republikanischen Werte: Führung, Volksnähe, Sieg, Modernität und Säkularismus. Zwischen 1926 und 1938 schuf Krippel symbolträchtige Werke, die nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch und kulturell bedeutend sind.

  1926 – Atatürk-Denkmal in Sarayburnu, Istanbul: Mit Atatürks nach vorne gerichtetem Blick vermittelt das Denkmal eine Botschaft von revolutionärer Führung und Neuanfang. Es ist das erste Atatürk-Denkmal in der Türkei.

  1926 – Atatürk-Denkmal in Konya: Atatürks Darstellung inmitten des Volkes symbolisiert Volksverbundenheit und Vertrauen in Anatolien.

  1927 – Reiterstatue auf dem Ulus-Platz in Ankara: Atatürk auf einem Pferd in Siegerpose steht für militärischen Erfolg, Entschlossenheit und Unabhängigkeit. Reliefs am Sockel erzählen vom Befreiungskrieg.

  1932 – Ehrenmal des 19. Mai in Samsun: Das Denkmal erinnert an Atatürks Ankunft in Samsun und steht für den Beginn des nationalen Widerstands und Vertrauen in die Jugend.

  1936 – Siegesdenkmal in Afyonkarahisar: Atatürk in militärischer Kleidung verkörpert den Preis des Sieges und nationalen Widerstand. Die Reliefs betonen die Rolle des Volkes im Krieg.

  1938 – Atatürk-Statue vor der Sümerbank in Ankara: Die sitzende Figur Atatürks stellt Wirtschaft, Entwicklung und staatliche Vernunft in den Vordergrund. Die Platzierung vor der Sümerbank vermittelt eine Botschaft von Industrie und Produktion

Kunst, Gesellschaft, Recht und Wissenschaft aus Österreich für das Atatürk-Türkei-Projekt (nach 1923)

Nach der Ausrufung der Republik erklärte TKG, dass Atatürk im Rahmen seines Ziels einer „zeitgemäßen Zivilisation“ führende Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Recht aus Europa nach Türkei eingeladen habe. Besonders Österreich reagierte intensiv auf diesen Aufruf. Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre leisteten österreichische und deutsche Intellektuelle, die vor dem NS-Regime flohen, direkte Beiträge zur Gründung republikanischer Institutionen in der Türkei. Vor dem Parlament steht sogar ein Denkmal für Clemens Holzmeister. Holzmeister war nicht nur als Architekt tätig, sondern auch als Berater und Lehrer. Nach seiner Entlassung aus dem Amt in Wien 1938 aufgrund des NS-Drucks ließ er sich in der Türkei nieder und lebte in den 1940er Jahren in Ankara. Nach 1950 kehrte er nach Österreich zurück und starb 1983 in Salzburg. Zwischen 1927 und 1950 entwarf Holzmeister über 30 öffentliche Gebäude, militärische Einrichtungen und Denkmäler, darunter das Parlamentsgebäude und den Präsidentenpalast in Çankaya.

 

Der österreichische Architekt Clemens Holzmeister zählt zu den einflussreichsten ausländischen Architekten, die die institutionelle Architektur der Hauptstadt Ankara prägten. 1927 wurde er in die Türkei eingeladen und fiel durch seine Entwürfe auf, die Atatürks Vision eines modernen Staates entsprachen. Sein Stil war schlicht, symmetrisch und spiegelte staatliche Ernsthaftigkeit wider.

Zu seinen wichtigsten Bauwerken in der Türkei zählen:

•⁠ ⁠Das dritte Gebäude der Großen Nationalversammlung der Türkei (1938–1960)
•⁠ ⁠Der Präsidentenpalast in Çankaya (1932)
•⁠ ⁠Das Hauptquartier des Generalstabs (1929–1930)
•⁠ ⁠Das Gebäude des Verteidigungsministeriums
•⁠ ⁠Das Gebäude des Innenministeriums
•⁠ ⁠Das Gebäude des Kassationshofs
•⁠ ⁠Das Gebäude der Zentralbank der Republik Türkei
•⁠ ⁠Die Militärakademie Ankara
•⁠ ⁠Das Offiziersheim Ankara
•⁠ ⁠Das Sicherheitsdenkmal im Güvenpark (1935)
•⁠ ⁠Die österreichische Botschaft in Ankara
•⁠ ⁠Das Gebäude des Ministeriums für öffentliche Arbeiten und Wohnungswesen
•⁠ ⁠Das ehemalige Gebäude des Handelsministeriums

⁠Beiträge aus Österreich in Kunst und Architektur

Clemens Holzmeister (1886–1983) – Entwarf das Parlamentsgebäude (3. Periode), das Innenministerium, das Hauptquartier der Gendarmerie und viele weitere öffentliche Gebäude in Ankara. Er gewann Atatürks Vertrauen und spielte eine Schlüsselrolle bei der architektonischen Modernisierung der Türkei.

Das Ehrenmal von Atatürk in Samsun wurde in Wien gefertigt. Der Bildhauer Heinrich Krippel schuf nach diesem Werk zahlreiche bedeutende Kunstwerke. In Wien steht ein Denkmal mit Bezug zum Samsun-Ehrenmal.

Heinrich Krippel (1883–1945) – Auf persönliche Einladung Atatürks schuf er zahlreiche Denkmäler in der Türkei: Sarayburnu (1926), Konya (1926), Ulus/Ankara (1927), Samsun (1932). Er verkörperte die ästhetische Vision der Republik in Stein und Bronze.

Einweihung des Denkmals von Atatürks Bildhauer Heinrich Krippel im 100. Jubiläumsjahr und Tag der Republik Türkei am 29.10.2023 in Friedhof Ober St. Veit, Gemeindeberggasse 26, 1130 Wien

2.⁠ ⁠Beiträge zu Recht, Wissenschaft und Universitätsreform

Hans Reichenbach (1891–1953) – Philosoph und Wissenschaftler österreichischer Herkunft. Kam 1933 im Zuge der Universitätsreform an die Universität Istanbul und legte die Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens.

Ernst Egli (1893–1974) – In Wien geboren. Entwarf das Gazi-Institut für Erziehung, die Fakultät für Sprach-, Geschichts- und Geographie der Universität Ankara sowie viele Schulgebäude. Gilt als Mitbegründer der modernen türkischen Architektur.

Ernst E. Hirsch (1902–1985) – Juraprofessor aus Österreich. Trug zur Ausarbeitung des türkischen Handelsgesetzbuchs bei.

Leo Spitzer (1887–1960) – Sprachwissenschaftler österreichischer Herkunft. Gründete die Abteilung für romanische Sprachen an der Universität Istanbul.

Paul Hindemith (1895–1963) – Deutscher Komponist mit engen Verbindungen zur österreichischen Musikszene. Trug maßgeblich zur Gründung des staatlichen Konservatoriums in Ankara bei und war Wegbereiter der Musikreform.

3.⁠ ⁠Beiträge in Sozialwissenschaften und Bildung

Gertrude Langer (1908–1984) und Karl Langer (1903–1987) – Kunsthistoriker aus Wien. Beteiligten sich am Aufbau des Museums- und Kunstbildungssystems in der Türkei.

Eduard Zuckmayer (1890–1972) – Musikpädagoge aus Wien. Gründete die Musikabteilung des Gazi-Instituts für Erziehung und bildete Tausende Lehrer aus.

Bruno Taut (1880–1938) – Modernist mit Verbindungen zur deutschsprachigen Architekturwelt. 1936 auf Einladung in die Türkei gekommen. Architekt des Gebäudes der Fakultät für Sprach-, Geschichts- und Geographie der Universität Ankara. Prägte die moderne türkische Architektur mit seinem funktionalen Stil.

Paul Hindemith – Kam 1935 auf Wunsch Atatürks in die Türkei und beriet bei der Gründung des Konservatoriums in Ankara. Legte die Grundlagen der modernen Musikpädagogik.

Eduard Zuckmayer – Leitete die Musikabteilung des Gazi-Instituts. Brachte die Idee der polyphonen Musik in die anatolische Volksbildung.

Die Schüler und Nachfolger von Clemens Holzmeister, Ernst Egli und Bruno Taut setzten die modernen Architekturströmungen in der Türkei bis in die 1940er Jahre fort. So leisteten österreichische Künstler und Wissenschaftler in den ersten zehn Jahren der Republik einen bleibenden Beitrag zur Stadtentwicklung, Kunst und Bildung der Türkei.

Die Gründungsvision der modernen Republik

Mustafa Kemal Atatürks Ziel einer „zeitgemäßen Zivilisation“ strebte danach, in Industrie, Wissenschaft, Technologie, Recht, Bildung und Kultur das Niveau fortschrittlicher Gesellschaften zu erreichen – und es durch Gleichberechtigung der Geschlechter, ein säkulares Rechtssystem, wissenschaftliches Denken und freie Bürgerschaft zu übertreffen. Diese Vision bildet seit der Ausrufung der Republik am 29. Oktober 1923 die Grundlage der türkischen Politik in Bildung, Recht, Wirtschaft, Kultur und Kunst.

Atatürk und Krippel: Eine Freundschaft, die sich in Kunst manifestiert

Heinrich Krippel, der Wiener Bildhauer, hinterließ ein künstlerisches Erbe, das eng mit der modernen Türkei und Mustafa Kemal Atatürk verbunden ist. Wie Birol Kılıç Obmann der TKG und Verleger  in seinem Buch „Heinrich Krippel / Der Wiener Bildhauer Atatürksbeschreibt (PDF des Buches), zieren Krippels Atatürk-Statuen seit über hundert Jahren die zentralen Stadtplätze der Türkei. Eines seiner bekanntesten Werke, das Ehrenmal des 19. Mai in Samsun, wurde am 15. Januar 1932 feierlich eröffnet. Diese Monumente sind mehr als bloße Kunstwerke: Sie erzählen die Geschichte der modernen, säkularen Republik Türkei in Stein und Bronze.

Am 29. Oktober 2023 wurde in Wien ein Denkmal errichtet, das Atatürks Ehrenmal in Samsun ehrt. Mit seiner feierlichen Einweihung erhielt das Werk eine neue symbolische Bedeutung, die die Verbindung zwischen Österreich und der Türkei unterstreicht.

Atatürk (1881–1938) verfolgte die Vision eines säkularen, demokratischen und modernen Staates. Dabei ließ er sich von den kulturellen Zentren Europas inspirieren: Österreich, Deutschland und Frankreich dienten ihm als Quellen für Wissen, Kunst und Technik. Krippel schuf zahlreiche symbolische Werke, darunter das Atatürk-Denkmal in Sarayburnu/Istanbul (1926), das Denkmal in Konya (1926), die Reiterstatue auf dem Ulus-Platz in Ankara (1927), das Ehrenmal des 19. Mai in Samsun (1932), das Siegesdenkmal in Afyonkarahisar (1936) und die Atatürk-Statue vor der Sümerbank in Ankara (1938). Er traf Atatürk persönlich im Präsidentenpalast in Çankaya, fertigte Skizzen an und war tief beeindruckt vom Befreiungskampf der Türkei.

Für Atatürk waren Künstler und ihre Werke von zentraler Bedeutung. Er nannte den Künstler „denjenigen, der das Licht zuerst auf seiner Stirn spürt – nach langem Fleiß und Arbeit“ und betrachtete die Kunst als „Spiegel des Denkens“. Sein berühmtes Zitat „Ein Künstler küsst keine Hand – man küsst die Hand des Künstlers“ verdeutlicht die Wertschätzung, die die junge Republik Kunst und Kultur entgegenbrachte.

Die türkische Kulturgemeinde  in  Österreich (TKG) hat über sechs Jahrzehnte miterlebt, wie Kunst und Künstler zur Demokratie, gesellschaftlichen Entwicklung und kulturellen Vielfalt beigetragen haben. Nachdem Krippels Grabstätte 2015 verkauft und entfernt wurde, entdeckte die Österreichisch-Türkische Kulturgesellschaft (TKG) sein Andenken wieder und verwandelte es in ein Denkmal. Am 29. Oktober 2023, zum 100. Jubiläum der Republik, wurde das Denkmal feierlich eingeweiht. In dieser Zeremonie wurden die Republik, die Gefallenen und Krippel geehrt und zugleich eine dauerhafte kulturelle Brücke zwischen Österreich und der Türkei geschaffen.

Quellen

Einweihung des Denkmals von Atatürks Bildhauer Heinrich Krippel am 100. Jahrestag und Tag der Republik Türkei
https://www.turkischegemeinde.at/einweihung-des-denkmals-von-atatuerks-bildhauer-heinrich-krippel-am-100-jahrestag-und-tag-der-republik-tuerkei/

Video: Vor zwei Jahren: 29.10.2023, Sonntag um 15:00 Uhr

100 Jahre der modernen Türkischen Republik

https://www.facebook.com/www.turkischegemeinde.at/videos/870231334756162/

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